Sketch Banküberfall
(Ein unsicher wirkender Blinder um die 30 betritt mit seinem weißen Stock eine Bankfiliale. Er macht ein paar Schritte in den Raum hinein, dann bleibt er stehen. Nach einer Weile geht er drei weitere Schritte vorwärts, bleibt wieder stehen, macht dann zwei Schritte rückwärts. Eine Bankangestellte an einem Schalter bemerkt ihn.)
Bankangestellte (kackfreundlich, fast wie zu einem kleinen Kind): Junger Mann, kommen Sie zu mir?
(Der Blinde dreht sich in die Richtung, aus der die Stimme kam, und geht langsam auf den Schalter zu. Einige Zentimeter rechts von der Durchreiche bleibt er schließlich stehen.)
Bankangestellte: Kommen Sie noch ein bisschen nach links? (Der Blinde korrigiert seine Position.) Bankangestellte: Was kann ich für Sie tun?
Blinder: Guten Tag, ich – würde gern diese Bank überfalln.
Bankangestellte (immer noch im gleichen kackfreundlichen Tonfall): Oh, da weiß ich nicht, ob ich Ihnen da helfen darf. – Warten Sie einen Moment, dann schau ich, ob ich den Chef erreichen kann, ja? (Sie greift zum Telefon und tippt eine Durchwahl ein. Dann nach einer Weile ergeben): Guten Tag Herr Kottke, hier spricht Frau Engelbert. Bei mir steht ein Kunde, der möchte gern diese Bank überfalln. (Man hört aus dem Hintergrund eine schreiende Männerstimme, die irgendwas mit “Polizei” artikuliert. Daraufhin Frau Engelbert aufgebracht): Der Herr ist bl… – behin… – (leise): Er kann nichts sehn. (Kurz darauf legt sie auf. Zum Blinden): Der Chef kommt gleich. Einen Moment, ja? (Es öffnet sich eine Bürotür und Herr Kottke, ein Mann um die 60, betritt die Schalterhalle. Er steuert schnurstracks auf den Blinden zu.)
Kottke (normal freundlich): Guten Tag, mein Name ist Johannes Kottke, ich bin hier der Filialleiter. (Der Blinde dreht sich ihm zu und die beiden Männer schütteln sich die Hände.) Kottke: Sie brauchen Geld, hab ich gehört. An welche Summe hatten Sie denn gedacht?
Blinder: Ja, ich weiß ja nicht, wieviel Sie bereit wären, mir zu geben.
Kottke (zur Frau hinter dem Schalter): Frau Engelbert, was ham wer in der Kasse? – Ach was, vergessen Sie die Kasse. (wieder zum Blinden gewandt): Wir gehn runter zum Tresor. Da is viel mehr drin. – Darf ich Sie führen? Wie soll ich Sie anfassen?
Blinder: Ich hak mich einfach bei Ihnen ein. (Er legt seine Hand um Kottkes Ellenbogen und beide setzen sich langsam in Bewegung.)
Kottke: So, jetzt kommt gleich eine Tür, Moment, ich öpfne sie, so, jetzt können wir durchgehn. (Sie gehen durch die Tür, die sich hinter ihnen automatisch schließt). Jetzt kommt eine Treppe, Vorsicht, jjjetzt kommt die erste Stufe. Wunderbar, wie Sie das machen. So, das war die letzte. (Beide gehen auf dem Treppenabsatz bis zur nächsten Treppenhälfte.) So, jetzt kommen wieder Stufen, Achtung, jetzt, wunderbar. – Jetzt sind wir unten und es kommt wieder eine Tür, ich öffne sie, wir können durchgehn, wunderbar. (Die Tür schließt sich hinter ihnen. Beide Männer befinden sich nun in einem langen Gang, den sie langsam durchschreiten. Kottke): Ich finde das ja bewundernswert, wie Sie mit Ihrem weißen Stock Ihre Wege bewältigen. Faszinierend. Ich beobachte Sie oft und immer haben Sie ein Lächeln auf dem Gesicht. Sie hadern nicht mit Ihrem Schicksal. Find ich toll. Unsere Bank unterstützt ja schon seit Jahren den VfB, den Verein für Behinderte hier am Ort. Die kümmern sich da ja hauptsächlich um geistig behinderte Menschen, aber die strahlen auch oft diese Fröhlichkeit aus. – Sooo. (Sie bleiben vor einer Stahltür stehen, die mit einem Zahlenschloss gesichert ist. An diesem macht sich Kottke nun murmelnd zu schaffen): Drei, sieben, neun. (Er öffnet die Tür.) Denn immer man rin in die jute Stube. (Sie gehen durch die Tür, die sich hinter ihnen automatisch schließt. Nun gehen sie durch einen Raum vorbei an diversen Schließfächern bis hin zu einem großen Stahlschrank, der ebenfalls mit einem Zahlenschloss gesichert ist.) Kottke: So, wir sind da. (Der Blinde lässt Kottkes Arm los und Kottke macht sich wieder murmelnd am Zahlenschloss zu schaffen): Drei, sieben, neun. (Er öffnet den Schrank.) Sooo, dann wolln wir doch mal schaun, was wir da so für Milliönchen für Sie haben. – Bevorzugen Sie bestimmte Scheine, weil Sie die besser ertasten können?
Blinder: Nein, ich komme mit allen Scheinen zurecht.
Kottke: Faszinierend. Ich könnte das nicht. – Naja, dann bräuchte ich Ihren Rucksack. Da soll der Zaster doch sicher rein. (Der Blinde setzt seinen Rucksack ab und gibt ihn Kottke, der augenblicklich damit beginnt, ihn inklusive Seitentaschen mit Scheinen vollzustopfen. Nach einer Weile fängt er an, dabei zu singen): Money money money money money money money money, money money, money money money – Money makes the world go round, the world go round, the world go round. Money makes the world go round. It makes the world go round. (zum Blinden): Wissen Sie, aus welchem Musical das ist?
Blinder: Cabaret.
Kottke: Sehr gut. Ich wusste, dass Sie das wissen. Sie sind ja bestimmt hochmusikalisch und haben viele Schallplatten zu Hause. – So, der Rucksack ist voll. Soll ich Ihnen noch eine andere tasche holen oder einen Koffer, damit Sie noch mehr Geld transportieren können?
Blinder: Nein, das ist nicht nötig.
Kottke: Aber Ihre Jacke machen wer noch voll. Komm’ Se ma her. (Er stopft alle Außentaschen der Jacke mit Scheinen voll. Dann): Haben Sie auch Innentaschen? (Er schaut selber nach und füllt auch die Innentaschen üppig.) So, mehr geht nicht. – Und Sie wollen wirklich nicht, dass ich noch eine Tasche hole?
Blinder: Nein.
Kottke: Gut, dann geb ich Ihnen jetzt Ihren Rucksack wieder. (Blinder nimmt ihn an und setzt ihn auf. Unterdessen schließt Kottke den Schrank, als er abschließen will, stutzt er aber.
Blinder (eine Weile, nachdem er Kottkes Stutzen bemerkt hat): Drei sieben neun.
Kottke (murmelnd, während er das Zahlenschloss schließt): Ah ja. Drei, sieben, neun. (zum Blinden): So, Sie fassen mich wieder an? (Der Blinde hakt sich bei Kottke ein und beide bewegen sich in Richtung Tür. Kottke, als sie dort angekommen sind): Ich mache die Tür auf, komm’ Se durch, … (Als beide durch die Tür gegangen sind und diese ins Schloss fällt, stutzt Kottke erneut): Woher wussten Sie eigentlich eben die Kombination für das Zahlenschloss?
Blinder: Als Sie aufgeschlossen haben, haben Sie die gemurmelt.
Kottke (keineswegs erschrocken, sondern eher belustigt): Ach du Scheiße. Vor euch Blinden kann man aber auch gar nichts geheim halten. Ihr habt einfach ein viel zu gutes Gehör. – Komm’ Se, sagen Se se noch mal. (als der Blinde nicht reagiert): Die Kombination, wie war die noch mal? (vor Erwartung fast platzend): Na? Na?
Blinder (gelangweilt): Drei sieben neun.
Kottke (entzieht sich dem Griff des Blinden, dreht sich zur Tür um und schließt das Zahlenschloss. Dabei murmelt er): Faszinierend. Faszinierend. (sich wieder zum Blinden drehend): So, weiter geht’s. (Der Blinde hakt sich wieder ein und beide gehen durch den langen Gang zurück zum Treppenhaus.) Kottke: Ich hatte einen Onkel, den Onkel Ewald, und Onkel Ewald war … – nein, der war jetzt nicht so wie Sie. Sie wurden doch sicher schon so geboren?
Blinder: Ja.
Kottke: Nun, der Onkel Ewald war kriegsbeschädigt. Der hatte Bombensplitter ins Auge gekriegt. Deshalb war der blind. Aber wenn bei dem einer in den Raum kam und irgendwas sagte, dann wusste Onkel Ewald sofort, wer das ist. Aber nicht nur das: Der hörte auch sofort, in welcher Stimmung du warst. Vor dem konntest du auch nichts geheim halten. Richtig erschreckend war das manchmal. – So, jetzt kommt die Tür zum Treppenhaus. (Beide gehen hindurch und die Tür schließt sich hinter ihnen.) Kottke: Jetzt kommt die erste Stufe (Sie steigen die erste Treppenhälfte hinauf.), letzte (sie gehen auf dem Absatz zur nächsten Hälfte.), jetzt geht’s wieder los (Sie gehen die zweite Treppenhälfte hinauf.) und jetzt ist Ende. Ich öffne die Türe (Beide gehen hindurch) und da wären wir wieder. Ich bring Sie noch raus? (Er geht mit dem Blinden durch die Schalterhalle zur Ausgangstür.) Kottke: Türe. (Beide gehen hindurch.) Kotke: Sie kommen jetzt alleine klar?
Blinder (seine Hand von Kotkes Arm lösend): Ja.
Kottke (sich mit dem Gesicht dem Blinden zuwendend): Dann darf ich mich von Ihnen verabschieden, ich halte Ihnen die Hand hin. (Der Blinde ergreift die Hand und schüttelt sie.) Kottke: Haben Sie viel Freude an dem Geld. Aber nicht alles auf einmal ausgeben. (Er lacht schallend. Der Blinde stimmt in das Lachen mit ein, aber lacht nicht so laut. Dann Kottke): Ja, dann machen Sie’s gut. Und beehren Sie uns ruhig mal wieder.
Blinder: Werd ich machen. (Er geht breit grinsend und sicheren Schrittes davon.)
(geschrieben von Simon Kuhlmann)