Segeln für blinde und sehbehinderte Menschen
Schon seit 1992 findet jeden Sommer eine bundesweite Segelfreizeit für sehbehinderte Kinder und Jugendliche in Berlin statt. Eine Gruppe von bis zu 20 Leuten zwischen 10 und 20 Jahren trifft sich im Bootshaus am Tegeler See. Dort betreibt der Landesverband Berlin Brandenburg des Bundes zur Förderung Sehbehinderter e.V. seit 1967 ein Segelprojekt. Der Verein hat dort 15 Segel- und 5 Motorboote vom Optimisten über Topper und Flying Bees bis zu größeren Jollen wie Flying Cruiser oder einer Randmeerjolle. Es sind also Boote für 1 bis 6 Personen – zum Lernen und Üben ideal.
Nun fragen sich vielleicht Viele, wie kann eine sehbehinderte oder sogar blinde Person ein Segelboot navigieren? Das fragten sich die Gründungsväter und -mütter des Projekts anfangs sicherlich auch. Natürlich muss mensch eigentlich sehen, wohin das Boot gerade fährt, um es steuern zu können. Den Wind fühlt mensch, wenn er stark genug weht, so dass die richtige Segelstellung sich finden lässt, aber das Richtungsgefühl geht auf dem Wasser dann doch ziemlich schnell den Bach runter. Deshalb lernen die Teilnehmenden der Segelfreizeiten und des Segelprojekts alles, was sie zum Segeln brauchen – für die richtige Fahrtrichtung ist aber eine sehende Person an Bord oder ein(e) Segellehrer*in in einem nebenher fahrenden Motorboot zuständig. Per Megaphon geben die Segellehrer*innen Anweisungen oder warnen vor möglichen Gefahren wie einem Zusammenstoß. Einen Segelschein können sehbehinderte und blinde Menschen zwar nicht machen, aber im Grunde können sie mit sehender Assistenz und dem nötigen Wissen alles auf einem Boot tun.
Ich hatte das Glück, als eine der ersten Teilnehmer*innen – quasi noch als Versuchskaninchen – mehrere Jahre lang dort hin fahren und so relativ solide Segeln lernen zu können. Anfangs war es eine inklusive Ferienfreizeit, an der auch Jugendliche ohne Sehbehinderung teilnahmen, später waren es praktisch nur sehbehinderte Menschen, noch später – lang nach meiner Zeit – öffnete sich die Freizeit auch für Vollblinde. Ich war also eigentlich lange Zeit die blindeste Teilnehmerin, weil ich damals schon mit meinen ca. 2% Sehrest an der Grenze zwischen hochgradiger Sehbehinderung und Blindheit kratzte. Ich verließ mich aber immer gern auf die Segellehrer*innen im Motorboot und liebte vor allem die kleinen Boote, in denen wirklich nur ein Mensch platz hat. Es gibt da die badewannenförmigen und wenig windschnittigen Optimisten, in denen Alle ihre ersten eigenständigen Runden drehen, weil Optis quasi kentersicher sind. Wer etwas fortgeschritten war und mehr Nervenkitzel wollte, setzte sich in einen Topper oder sogar den Laser – immerhin eine in internationalen Wettbewerben vertretene Bootsklasse. Topper und Laser sind schmalere, spitze Boote für eine Person. Damit war Kentern fast eine Selbstverständlichkeit – dennoch habe ich es nie geschafft, im See zu landen – nur vom Steg aus mit Badeanzug und Absicht.
Das Segelprojekt besteht nach wie vor und auch die sommerliche Segelfreizeit findet immernoch regelmäßig statt. Ein bisschen bekomme ich davon jedes Jahr noch mit, da mein Vater seit über 20 Jahren die treibende Kraft hinter der Ferienfreizeit ist. Aber auch ich bewege mich nach wie vor – oder endlich wieder – auf dem Wasser. Vor knapp 2 Jahren lernte ich meinen jetzigen Partner kennen, der ein absolut wasserliebender Bootsmensch ist und ein Segelboot besitzt. Wir verbringen so viel Zeit wie möglich auf dem Wasser und ich freue mich dann immer wieder, dass ich einen Bezug zu all den schönen Seemannsknoten und -begriffen habe. Solange ich beim Segeln nur Anweisungen ausführen und nicht selbst die Rolle der Kapitänin übernehmen muss, ist Segeln eine absolut schöne und weitgehend barrierefreie Sache, auf die ich in meinem Leben nicht mehr verzichten möchte.
Segeln ist eine sehr ruhige und beruhigende Art der Fortbewegung, manchmal wird es aber auch hektisch und spannend. Jede Bewegung der Pinne (des Steuerruders) oder der Schot (des Seils, mit dem mensch die Segelstellung reguliert, hat eine Auswirkung auf das Boot. Mensch spürt jede Welle, jeden Windstoß und jede Bewegung des Bootes. Gleichzeitig hört mensch alle Geräusche der Umgebung und ist mit allen Sinnen dicht am Geschehen und der Natur dran. Das Wasser ist jederzeit in greifbarer Nähe. Schneller, als mensch denkt, liegt mensch sogar drin. Es ist aber noch nie jemand beim Berliner Segelprojekt zu Schaden gekommen. Alle tragen Schwimmwesten und die sehenden Segellehrer*innen passen sehr gut auf ihre Schüler*innen auf.
Ich empfehle jedem blinden oder sehbehinderten Menschen diese Erfahrung – wenn Ihr jung genug für die Ferienfreizeit seid, traut Euch einfach und meldet Euch an. Es gibt aber auch andere Segelangebote für blinde und sehbehinderte Menschen, so dass für jede Altersgruppe und jeden Grad an Experimentierfreude etwas dabei sein sollte.
Mehr Infos bekommt Ihr bei bfs-jugend@sehbehindert-sport.de oder robert-jacob.heuser@web.de.
(geschrieben von Lea)