Von der Lupe bis Google Maps – Die Entwicklung der Blindenhilfsmittel

Anmerkung der Redaktion:
Mit diesem Beitrag nimmt Rasim Camoglu an unserer Blogparade teil. Da er keinen eigenen Blog hat, veröffentlichen wir den Beitrag hier für ihn.

Heute möchte ich Euch auf eine kleine Reise mitnehmen und einige der
wichtigsten Hilfsmittel für Blinde und Sehbehinderte vorstellen. Dazu
begeben wir uns gedanklich in verschiedene Abschnitte unserer Geschichte.
Und wie so oft nach einer Reise ins vermeintlich Bekannte, kommt am Ende
eine Erkenntnis, die man so evtl. vorher noch nicht hatte!

Wir beginnen unsere Reise mal im 1. Jahrhundert. Damals wurde durch Seneca
d. J. Bereits bewiesen, dass Wasser eine vergrößernde Wirkung hat. Damit
war der Weg geebnet für den arabischen Gelehrten Abu Ali al-Hasan Ibn
Al-Haitham, der im 11. Jahrhundert die erste Lupe erfand. Eine ganz normale
Lupe aus Glas habe ich in meiner Kindheit – ich bin jetzt 32 – auch noch
genutzt und ich nutze sie immer noch! Eine Erfindung, die 900 Jahre alt ist
und trotzdem von fast jedem Menschen mit Sehbehinderung genutzt wird. Und
diese 900 Jahre hat es gedauert, bis man die erste elektronische Leselupe
für sehbehinderte Menschen hergestellt hat.

Dieser Gedanke bringt mich zu meinem nächsten Stopp auf unserer kleinen
Reise durch die

Geschichte, nämlich in das Jahr 1825 und den, uns Blinden und
Sehbehinderten sicherlich bekannten, Louis Braille, dem Erfinder der
Braille-Schrift. Man sollte hinzufügen, dass er erst 16 Jahre alt war, als
er die Punktschrift fertigstellte und er bediente sich auch Ideen anderer
Personen, so etwa nutze er das bereits existierende Modell der Nachtschrift
als Grundlage für die Braille-Schrift. Die Erfindung ist nun bald 200 Jahre
alt und wird heute immer noch genutzt, auch wenn sie seit einigen
Jahren durch die große Auswahl an E-Books und Vorleseapps so gut wie nicht
mehr nötig ist.

Doch ich kenne da etwas, das noch überaus nötig ist. Dazu müssen wir in das
Jahr 1931 nach Paris. Die Menschen dort beginnen langsam mehr und mehr
motorisierte Fahrzeuge auf den Straßen zu nutzen. Durch die neue Technik
fällt es den blinden Bürgern der Stadt schwerer sicher durch den
Straßenverkehr zu kommen. Dieser Umstand wurde aber nicht nur von den
Blinden bemerkt, sondern auch von einer sehenden Dame, die etwas dagegen
tun wollte, nämlich von Frau Guilly d’Herbemont. Sie erfand deshalb nach
dem Vorbild der weißen Polizeistöcke einen Stock, mit welchem sich die
Blinden im Straßenverkehr sicherer bewegen konnten und präsentierte diesen
am 7. Februar 1931 der Öffentlichkeit. Der Stock wurde in den Jahren
1944/45 von Herrn Richard Edwin Hoover weiterentwickelt.

Heutzutage ist davon auszugehen, dass so gut wie jeder Blinde auf der Welt
einen solchen Langstock besitzt oder zumindest etwas, was einem solchen
Stock ähnelt. Aber auch für den Blindenstock gibt es inzwischen
Erweiterungen, wie z. B. Sonarsysteme.

Kommen wir nun zur eigentlichen Erkenntnis. Es fällt auf, dass das Alter
von Erfindungen für Blinde und Sehbehinderte anscheinend keine Rolle
spielt, weil wesentliche Erweiterungen erst in unserer heutigen Zeit
stattfinden und nicht nur das, sondern hilfreiche Apps und Gadgets kommen
Schlag auf Schlag und erleichtern uns das Leben, so gibt es z. B.

  • Apps, die einen Text vorlesen, wenn man das Smartphone darüber hält oder ein Foto davon macht.
  • Apps, die einem helfen zu erkennen, ob die Ampel rot oder grün zeigt.
  • Apps, die einen durch die ganze Stadt navigieren können.
  • Apps, die für Kontakte zu Sehenden sorgen, um in bestimmten Situationen
    einen direkten Ansprechpartner zu haben, der einem helfen kann.
  • Apps, mit denen Du Dir erklären lassen kannst, was sich auf einem von
    Dir mit der App geschossenen Foto befindet.
  • Kameras, die man sich an die Brille montiert, um sich unterwegs Straßenschilder, Busnummern u. Ä. Vorlesen zu lassen.

  • Armbänder, die durch Sonartechnologie anfangen zu vibrieren, wenn ein
    Hindernis vor dem Träger auftaucht.
  • Usw.

Dh., wir befinden uns in einer Zeit, in der gleich mehrere Meilensteine für
Blinde und Sehbehinderte gesetzt werden. Oder hättet Ihr noch vor 50 Jahren
auf die Frage „In welchen Bereichen kann ein blinder Mensch arbeiten?“ die
Antwort gegeben: „In fast allen Bereichen, da durch die moderne Technik
kaum noch Einschränkungen bestehen.“

Ich glaube nicht, dass dies irgendjemand vor 50 Jahren oder gar vor 20
Jahren gesagt hätte. D.h. die technische Inklusion von Blinden und
Sehbehinderten findet jetzt gerade erst statt. Doch wer weiß, vielleicht
gab es mal eine Zeit in der Blinde wichtige Aufgaben übernommen haben, denn
wer kann schon sagen, wie die Menschen von 500.000 Jahren die
Arbeitsfähigkeit von Blinden eingestuft haben?

Der technische Fortschritt geht in unserer Zeit so schnell, dass ich mich
wirklich frage, ob wir in 50 Jahren überhaupt noch eine der klassischen
Erfindungen der letzten 900 Jahre brauchen werden. Wovon ich aber überzeugt
bin, ist, dass wir technisch bereits viel geleistet haben, aber was
wirklich nötig ist, ist die Inklusion der Blinden und Sehbehinderten in die
Gesellschaft.

Denn es ist doch so: Wenn Ihr in eine Arztpraxis geht und die Dame am
Empfang ist blind – oder Ihr geht in den Supermarkt und der Kassierer ist
blind, dann wärt selbst Ihr, die Blinden und Sehbehinderten, doch wohl
zumindest überrascht. Und ich hoffe, dass die Gesellschaft sich irgendwann
soweit entwickelt, dass selbst Sehende nicht mehr überrascht werden, wenn
sie irgendwo jemanden sehen, der blind seiner Arbeit nachgeht :).

Danke für’s Lesen!

Rasim Camoglu

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