Welt-Autismus-Tag ⎥Informationen und Perspektiven
Am 02. April war Welt-Autismus-Tag.
Aber was ist Autismus eigentlich?
Autismus ist ein neurologischer Zustand. Das Gehirn von Menschen mit Autismus ist anders gebaut.
Autismus ist ein Spektrum, das heißt, dass es verschiedene Formen von Autismus gibt die alle auf dem Spektrum liegen. Dieses Spektrum ist wie ein großer Kuchen, von dem alle Autist:innen verschieden große Teile von jedem Stück haben.
Autismus beeinflusst vor allem die Wahrnehmung und die soziale Interaktion.
Weil das Gehirn von Autist:innen anders gebaut ist, werden viele Reize wie etwa Licht, Geräusche und Gerüche anders wahrgenommen. Außerdem ist bei den meisten Autist:innen kein oder nur ein schlechter Reizfilter vorhanden. Das heißt, dass Umweltreize nahezu ungefiltert auf Autist:innen einprasseln. Bei Menschen ohne Autismus werden unwichtige Reize herausgefiltert, um sich auf das Wesentliche konzentrieren zu können. Dieser Filter funktioniert bei den meisten Autist:innen ziemlich schlecht.
Auch die Intuition für soziale Situationen ist kaum oder gar nicht vorhanden. Das heißt, dass zum Beispiel passender Augenkontakt oder das Sprechen im richtigen Moment nicht intuitiv geschehen. Diese Dinge müssen viele Autist:innen, wenn sie das möchten, erst aktiv lernen.
Der Welt-Autismus-Tag ist dazu da, auf Autismus aufmerksam zu machen und Menschen darüber aufzuklären. Ihr könnt mithelfen indem ihr zum Beispiel diesen Beitrag teilt oder euch selbst noch mehr zum Thema informiert. Setzt euch am besten direkt mit „betroffenen“ Menschen auseinander, denn wir wissen am besten wovon wir sprechen. Es gibt viele tolle Bücher, Blogs etc. von Autist:innen selbst die euch helfen können, Autismus
besser zu verstehen.
Hier einige Empfehlungen und Tipps für Medien zum Thema Autismus:
Ein Blog: https://www.unbemerkt.eu/de/
Auf autismus-kultur.de findet ihr sowohl umfassende Informationsartikel als auch Buchempfehlungen.
Noch mehr Informationen gibt es bei Autismus Deutschland e.V.
Anny, Nele und ich (Annika) auf Instagram:
Anny: annyfullchaos
Nele: aspietalk
Annika: der.autisability.blog
Nele zum Welt-Autismus-Tag
Bis ich meine Autismus-Diagnose bekommen habe, dachte ich, alle Menschen würden so denken wie ich. Oder ich hätte einfach einen komischen Charakter, oder wäre schlichtweg dumm. Heute weiß ich, dass mein Gehirn anders funktioniert als das der meisten Menschen. Es filtert Reize schlechter als ein neurotypisches Gehirn, deswegen höre ich alles lauter, nehme Licht stärker wahr und kann viele Gerüche nicht ausstehen. Abgesehen davon habe ich Schwierigkeiten im sozialen Bereich, vor allem bei der Interaktion mit Gleichaltrigen. Schon im Kindergarten hatte ich immer nur ältere Freunde. Mittlerweile habe ich herausgefunden, dass ich mit älteren grundsätzlich besser klarkomme, weil sie meine Sprache besser verstehen und unsere Interessen besser zusammenpassen. Bei meinen Mitschülern kann ich oft nicht mitreden, da ich mich z. B. mehr für Politik und Geschichte als für die neuesten Modetrends oder Promi xy begeistern kann. Mit dieser Abneigung habe ich mich mit der Zeit einfach abgefunden, aber natürlich ist es manchmal komisch, nirgends mitreden zu können. Mir fällt es oft schwer, nicht verbale Sprache zu verstehen, also Körpersprache oder auch indirekt ausgesprochene Sachen, Redewendungen etc.. Ich habe zwar in 15 Jahren ohne richtige Diagnose gelernt, Menschen und deren Kommunikation anhand von Logik zu analysieren, aber das ersetzt den fehlenden Instinkt nicht und ist sehr anstrengend.
Alles in allem beschreibe ich meinen Autismus gerne so: Für mich ist die Welt um mich herum wie ein Film, in dem ich umherrenne. Ich sehe die Leute nur von außen und kann nicht “in sie hinein sehen”.
Annika zum Welt-Autismus-Tag
Autismus ist für mich nicht nur ein Label, sondern vor allem die Möglichkeit, mich selbst zu verstehen.
Vor meiner Diagnose habe ich mich oft gefragt, warum ich nicht so funktioniere wie andere in meinem Alter. Ich ging davon aus, ich hätte doch die gleichen Voraussetzungen wie meine Mitschüler:innen. Ich wunderte mich deshalb immer wieder, warum mir manche Dinge, die sie wie von allein zu können schienen so schwer vielen, andere dagegen total leicht und warum ich meine Altersgenoss:innen oft einfach nicht verstand.
Ich habe vor meiner Diagnose nicht verstanden, wie ich selbst funktioniere. Das war ziemlich störend, denn schließlich musste ich mich vor der Diagnose schon 15 Jahre „durchs Leben bugsieren“.
Mit der Diagnose hatte ich eine Art „Bedienungsanleitung“ für mich selbst gefunden. So viele Bücher zum Thema lasen sich für mich, als wären sie meine eigene Biografie. Außerdem konnte ich endlich aufhören, den Fehler bei mir zu suchen. Dass ich wenig Freund:innen hatte, viele Situationen mich aufgrund der Reizintensität müde machten und ich zeitweise überhaupt keine Ahnung hatte, wer ich selbst eigentlich war, lag nicht an einem schlechten Charakter oder etwa Faulheit. Das ganze hatte einen Namen und eine Ursache. Der Ursprung liegt ganz einfach in meinem Gehirn. Es arbeitet anders als das eines nicht-autistischen Menschen. Meinem Gehirn fehlen ein guter Reizfilter, der die unwichtigen Reize ausblendet und eine grundlegende Intuition für soziale Interaktionen. Aber nun zu den positiven Dingen daran: Ich kann mich sehr gut auf Details fixieren, bin besonders in Bezug auf Reize sehr sensibel. Ich kann Dinge hören, die andere Ohren gar nicht wahrnehmen. Ich empfinde sehr viel Empathie gegenüber anderen Menschen, denn wie auch bei Reizen nehme ich diesbezüglich besonders viel wahr. Ich kann gut mit Worten umgehen, da Sprache so etwas wie mein „Spezialinteresse“ ist.
In der Summe gleichen sich die meisten Dinge die ich nicht kann wieder mit denen aus, die ich gut kann. Ich kann eben anderes. Aber in erster Linie verstehe ich nun, warum.
Anny zum Welt-Autismus-Tag
Wie erlebe ich Autismus?
Autismus zu haben ist etwas, was sehr komplex für Außenstehende und so einfach und selbstverständlich für Betroffene zu begreifen ist. Wer selber nicht betroffen ist kann schnell auf den Gedanken kommen, dass mein Verhalten unter Umständen rätselhaft ist. Oft wurde mir Arroganz oder Altklugheit vorgeworfen. Mit anderen Autisten verstehe ich mich allerdings kommunikativ oft besser.
Ich habe eine andere Art Reize zu verarbeiten. Und damit sind nicht nur Reize die sehen, fühlen, hören etc betreffen und häufig sehr unter- oder überempfindlich sind, auch was kommunikative Reize angeht sind Autisten häufig etwas anders aufgestellt.
Augenkontakt, Mimik und Tonfall können zu intensiv oder gar nicht wahrgenommen werden, oder ich kann die Signale die bei mir ankommen nicht vernünftig auswerten. Das ist auch der Grund warum Autisten wie ich sehr direkt sind, denn die meiste Kommunikation läuft über das direkte Erzählen und Kommunizieren von Gefühlen, Intentionen oder Vorgehensweisen. Was mit meiner Umwelt häufig zu Missverständnissen und Streit führt.
Man könnte quasi sagen, Autismus ist einfach eine andere Art zu sein, ein anderes Betriebssystem. Wenn alle anderen auf Windows laufen, laufen wir Autisten auf Linux. Da ist es in der Natur der Sache, das sich beide Systeme häufig schwer miteinander vereinbaren lassen.
Aber auch unter uns Autisten verläuft unser “Anderssein” nicht linear. Es ist schlichtweg nicht möglich und auch ein fataler Fehler uns in “schwer” und “nicht schwer”-Autistisch zu unterteilen. Warum? Weil Autismus keine Linie ist die eine klare Grenze zwischen Schweregraden zieht.
Autismus besteht aus vielen genetischen Zusammenspielen und ergibt gemeinsam das gesamte Bild. Da kann man in einem Aspekt sehr stark eingeschränkt sein, aber mit anderen “typisch autistischen” Problemen keine Mühe haben. Und auch das alles kann variieren je nach Tageszustand einer einzelnen Person. Und was der einen Person leicht fallen kann, ist für die andere eine riesige Barriere.
Oh, und einen Satz möchte ich euch noch mitgeben: Kennst du einen Autisten, dann kennst du EINEN Autisten. Ich denke damit beschreibt unsere Vielfalt am besten.